Bulgarien – Wie ein Land sein Volk verliert
Würde man in Bulgarien eine Umfrage starten, was die größten Probleme des Landes sind, bekäme man wahrscheinlich je zu einem Drittel Politik,Korruption und die Parallelkultur der Roma zu hören. Diese Probleme sind sicherlich real und wahr, wenn auch nicht immer objektiv erfasst. Dieser Staat hat aber ein weiteres, vielleicht sogar größeres Problem: Er stirbt aus. Zum einen gibt es, wie in fast jedem europäischen Land, das Problem der Demografie. Mehr Alte sterben, als Kinder geboren werden. Hierzu kommt aber ein weiteres, viel akuteres Problem. Ein sehr großer Teil der Menschen zwischen 20 und 40 Jahren, vor allem außerhalb der Großstädte, hätte wenig Probleme, von einem Tag auf den anderen alles zurückzulassen, um ins westeuropäische oder amerikanische Ausland zu gehen. Ein Großteil dieser Leute sucht aktiv nach Möglichkeiten und findet diese meist auch früher oder später. Es arbeiten bereits mehr Bulgaren im Ausland als im eigenen Land. Das nimmt mitunter groteske Züge an, zum Beispiel hörte ich von Situationen, in der beide Elternteile ins Ausland gehen, teils in verschiedene Städte oder Länder. Die Kinder verbleiben auf ungewisse Zeit bei den Großeltern oder anderen Verwandten. Nun, diese Extremfälle sind natürlich ehr die Ausnahme als die Regel. Aber es gibt sie.
Vor allem Ärzte und Lehrer fehlen
Die Auswirkungen dieser kollektiven Abwanderung sind nahezu überall zu spüren. Da es qualifizierteren Arbeitskräften leichter ist im Ausland Arbeit zu finden, sind es zuerst Akademiker, die fehlen. Am stärksten ist in den Bereichen der Medizin und Bildung das Fehlen von Fachpersonal zu bemerken. Kaum ein Arzt ist jünger als 50 und die Schulklassen wachsen immer mehr, weil die Lehrkräfte fehlen. Auch haben mittelständische Unternehmen mit diesem Phänomen zu kämpfen. Nicht nur das Finden fähiger und motivierter Mitarbeiter ist ein Problem, es ist ebenso schwer diese zu halten. Es kommt vor, das Angestellte morgens einfach nicht zur Arbeit erscheinen und nach einem Telefonanruf stellt sich heraus, das diese bereits weit hinter Rumänien sind. Ein anderer Bereich, in dem das fehlen kluger und fähiger Menschen auffällt – und hier beißt sich die sprichwörtliche Ratte in den eigenen Schwanz – ist die Politik. Solange hier ein und die selbe Kaste am Werk ist, sind Wahlen auch ehr Volksbelustigung als demokratisches Mittel. Und die Menschen, die das ändern könnten, sind glücklich in ihrem neuen Leben irgendwo.
Geld.Natürlich, aber nicht nur
Warum ist das so? Natürlich ist die schwache Wirtschaftskraft des Landes ein Problem. Löhne und Gehälter sind im Ausland fünf bis sieben mal so hoch als vor Ort. Warum das so ist, können Ökonomen sicherlich weitaus besser erklären(und begreifen) als ich, aber ganz vereinfacht ist es wohl so: Wer wenig verdient, gibt auch wenig aus, was dazu führt, das derjenige, bei dem man sein Geld ausgibt, auch wenig verdient…
Auch wenn das die Triebfeder ist, ist das sicher nicht der einzige Grund. Vor nicht allzu langer Zeit stieß ich auf eine Umfrage unter Auswanderungswilligen, aus der eindeutig hervorging, das viele auch weggehen würden, wenn es nicht nur ums Geld ginge. Ihnen fehlte vor allem Vertrauen in ihren Staat, die Politik, die Rechtsstaatlichkeit, oftmals in die Demokratie selber. Auch Unsauberkeit und mangelnde Infrastruktur wurden angegeben. Mehrfach habe ich auch von Situationen mitbekommen, in dem im Familien- und Freundeskreis die Jungen Leute dazu drängen, nach dem Schul-/Universitätsabschluss ins Ausland zu gehen. Dazu verbreiten sich oftmals fantastische Geschichten über die Möglichkeiten anderswo, zu denen jeder Erzähler etwas neues hinzudichtet.
Handeln. Aber wo anfangen?
Es ist natürlich richtig und wichtig, wenn jeder Leben und Arbeiten kann wo auch immer er will. Ich will hier ausdrücklich nicht die Entscheidung kritisieren, sein Glück im Ausland zu suchen und zu finden. (Wie käme ich dazu – wo ich diese Entscheidung doch seinerzeit selbst gefällt habe). Es wäre auch falsch bzw. zu einfach, die Politik dafür verantwortlich machen (man kann einen Stein auch nicht dafür verantwortlich machen, dass er im Weg herumliegt). Etwas tun kann die Wirtschaft, in dem sie die Löhne langsam aber sicher steigen lassen würde (wofür natürlich Geld bereit stehen muss – aber hey, wofür haben wir die EU?! Die kümmert sich doch sonst um alles!) zum anderen, und das ist der wichtigste Punkt, muss ein Umdenken im Volk beginnen. Es ist viel zu üblich geworden, den Weg ins Ausland einzuschlagen, alternativen werden viel zu selten gesucht. Nachhaltigkeit, Fortschritt und Zusammenhalt sind aus meiner Sicht die einzigen Möglichkeiten, Bulgarien aus der Krise zu bekommen…